Text: Anne-Sophie Woll
Alles passiert global. Ob wir nun in Schwerin sitzen oder in New York, von jedem Ort der Welt können wir für einen anderen Ort dieser Welt eine Planungsaufgabe annehmen. So ist es nicht verwunderlich, dass wir in Deutschland chinesische Städte planen oder japanische Büros unsere Museen. Aber ist das gut? Es steht außer Frage, dass die internationalen Verflechtungen aller Kulturen eine Bereicherung darstellen, dass wir voneinander lernen können und uns gegenseitig inspirieren. Was aber macht das mit dem Prozess des Entwerfens? Was bedeutet es für das Ergebnis der Planung?
Der Entwurf als Prozess ist nicht linear. Er ist das Herantasten an die Anforderungen der Bauaufgabe, an die Wünsche der Auftraggeber, an die Herausforderungen der Zukunft und nicht zuletzt, das Erspüren des Ortes mit all seinen Facetten. Genau das unterscheidet uns von anderen Disziplinen: Der Ortsbezug. Wenn wir einen Stuhl oder ein Auto planen, kann dies unabhängig, aus sich selbst heraus entstehen. Planen wir eine Stadt, ein Gebäude oder einen Park, sind wir in vielen Bereichen frei, aber ein Fixpunkt bleibt: Der Standort. Nun kann man sich alle Informationen zu einem Standort zukommen lassen, ohne je selbst vor Ort gewesen zu sein. Vielleicht existiert sogar ein Modell, durch das wir den Ort virtuell betreten können. Ohne Frage, ich als Planerin kann mich daran machen, all diese Informationen zu ordnen, zu gewichten und in Bezug zueinander zu stellen. Das Ergebnis kann ein genialer Entwurf sein, zum Beispiel ein großartiger Museumsbau, der seiner Typologie vollkommen gerecht wird. Aber wird er dem Ort gerecht? Ich wage zu sagen, dass es in der Architektur etwas gibt, das man als die Zwischentöne der Planung bezeichnen kann. Bezogen auf den Standort ist es der Genius Loci. Dieses Gefühl, das sich einstellt, wenn man an einem Bauplatz steht, einem der Wind um die Nase weht, die umliegenden Bäume ihre langen Schatten werfen und die anliegende Hauptverkehrsstraße wie Meeresrauschen hinter uns klingt. Es ist das Begreifen und Erspüren des Ortes, das uns hilft, neben all den theoretischen Parametern ein wichtiges Kriterium dazu zu gewinnen. Nämlich die Antwort darauf, was den Ort bisher ausmacht; was ihn unverwechselbar werden lässt. Genau hier sollte gute Planung anknüpfen. Wir müssen sagen können, ob der Wind ein Wind ist, der uns angenehm kühlt oder frieren lässt, ob die Anwesenheit der Bäume den Bauplatz schützt oder die Sicht nimmt, ob das vermeintliche Meeresrauschen wie ein unerträglicher Donner klingt oder uns zur Ruhe kommen lässt. Nur dann können wir feststellen, was der Ort wirklich braucht. Nur dann sind wir in der Lage, mit unserem Entwurf darauf zu reagieren. Welcher Mehrwert entsteht durch diese Herangehensweise? Bleiben wir beim Beispiel des Gebäudes. Es ist die Erkenntnis beim Betrachten des Bauwerks, dass es nicht gleichgültig ist, ob wir in New York oder Schwerin sind. Die Einsicht, dass es diese Gebäude gibt, die überall stehen könnten und jene, die wie für einen Ort gemacht zu sein scheinen. Jene Bauwerke, die einem das Gefühl vermitteln, sie könnten sich schon ewig an diesem Platz befinden, weil sie intensiv auf diesen eingehen. Weil die feinfühlige Planung etwas herausgestellt hat, was wir Identität nennen. Es ist keine Frage: Gute Architektur entsteht im Kopf, aber die bessere Architektur an der frischen Luft. Worauf warten wir noch?