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Kolume Baukultur #2

Von virtuellen und realen Welten Warum viele Absolventen nicht als Architektinnen und Architekten arbeiten

Texte: Anne-Sophie Woll  


Man studiert Architektur, weil man seine Umwelt gestalten will, et­was Sichtbares schaffen möch­te, am Leben und am Menschen interessiert ist, weil man seinen Ideen Aus­druck verleihen und einer greifbaren Tätigkeit nachgehen möchte. Dann landet man vor dem Computer und stellt fest, dass sein Sitz­nachbar aus Schulzeiten, der gerne etwas mit Computern oder IT machen wollte und nun Unternehmensberater ist, weniger als man selbst in der virtuellen Welt unterwegs ist. So greifbar wie das Bauen selbst ist, so virtuell ist die Planung heutzutage. Es bereitet gera­dezu sinnliche Freude, einen Stift, statt einer Computermaus in der Hand zu halten. Doch was ist auf dem Weg dahin schiefgelaufen? Die Realität hat die Vorstellung eines Berufs­bildes eingeholt.


Die zweite Erkenntnis kommt spätestens in den ersten Tagen im Architekturbüro: Der Be­ruf vom Gestalter wird immer mehr zum Job des Verwalters. Ein Verwalter von Vorschrif­ten, Stellungnahmen, Gutachten, Plänen, Stundenzetteln, um nur einiges zu nennen. Ein Großteil der Arbeitszeit darf unter dem Stich­wort „Ablage“ verbucht werden. Also, warum nicht gleich in die Verwaltung wechseln?
Die dritte Einsicht dämmert einem bereits im Studium. Die Zeiten, in denen junge Köpfe ihre Ideen durch offene Wettbewerbe in die Welt hinaustragen konnten, sind durch die komplizierte Rechtslage längst vorbei. Doch wie erhält man als Neueinsteigerin und Neu­einsteiger ein Profil, eine eigene Sprache, wenn diese Sprachrohre fehlen? Der vierte Punkt ist ein alter Vertrauter: Die Überstunden. Schon während des Studiums sind die Ateliers der angehenden Architektin­nen und Architekten diejenigen, in denen das Licht zuletzt ausgeht, oder gleich bis in die Morgenstunden an bleibt. In keiner Branche gehören Überstunden so zum Berufsalltag, wie im Bauwesen. Doch während in anderen Bereichen, bleiben wir in der IT, diese gut ho­noriert werden, gehören sie in der Architektur zum guten Ton und es braucht viel Mut, sei­nen Stift, ach nein, die Tastatur, einmal früher liegen zu lassen.
Ein letzter Punkt sind die schönen Bilder. Diese Darstellungen, die jeden Betrachter von virtuosen Neubauten träumen lassen. Sie sind ein fester Bestandteil eines jeden Architektur­studiums und haben eine ganz klare Berech­tigung. Schwierig wird es nur dann, wenn Pro­fessoren und Studierende gleichermaßen mehr Wert auf das Bild als auf die Inhalte le­gen. Spätestens im Berufsalltag holen jeden die klaren Fakten ein, die Bauvorhaben benö­tigen. Oder haben Sie schon einmal ein täu­schend echtes Rendering an ihre Statikerin geschickt?
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass das Bild vom Berufsleben stark mit der Reali­tät kollidiert. Doch woran liegt das? Erst ein­mal an jedem selbst. Denn jeder Studierende hat die Möglichkeit sich eine eigene Vorstel­lung durch Austausch, Fächerwahl und Be­rufserfahrungen zu machen. Aber doch auch am Umfeld. Wie oft hört man im Studium, oder während des Praktikums, den Satz: „Ach widme dich doch den schönen Tätigkeiten, im Berufsalltag hast du sowieso keine Zeit mehr dazu.“
Wie kann man dem Nachwuchs begegnen, um die genannten Hürden aus dem Weg zu räumen? Während des Studiums sollten realitätsna­he Planungsaufgaben gefördert werden, denn die Hauptbauaufgaben der Zukunft befinden sich im Bestand und haben mit Neubauten wenig zu tun. Auch die Verlängerung prakti­scher Erfahrungszeiten sollte in Betracht ge­zogen werden.
Für den Einstieg ins Büroleben geht es vor allem um Abwechslung im Büroalltag, der Nachwuchs sollte nicht nur die Arbeit am Computer oder in einzelnen Leistungsphasen kennenlernen, sondern raus auf die Baustelle und an den Verhandlungstisch. Denn die Stär­ken der neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbei­ter können nur dann effektiv eingesetzt wer­den, wenn man diese kennenlernt. Darüber hinaus müssen Neueinsteiger bewusst gefor­dert werden und in ihrer Eigenverantwortlich­keit gestärkt. Und ganz nebenbei darf man die Notwendigkeit von Überstunden gerne einmal in Frage stellen.
Was kann der Nachwuchs tun? Er sollte sich selbst aktiv einbringen und Standards durchbrechen. Er muss eine eigene Haltung entwickeln und dieser Ausdruck verleihen, auch wenn es nicht leichtfällt. Dann lässt sich ein geeigneter Platz im Berufsleben finden, denn die Betätigungsfelder sind so breit ge­fächert, wie die Fähigkeiten der Absolventin­nen und Absolventen.
Lassen Sie uns alle dazu beitragen, achtzu­geben – aufeinander und auf diesen, trotz al­lem, schönsten Beruf der Welt.

 
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